Er hat sie alle noch gekannt: Joseph Brodsky und Czeslaw Milosz ebenso wie Wislawa Szymborska, Anna Achmatowa, Boris Pasternak und die sowjetischen Dissidenten.
Als Kind erlebte Tomas Venclova die Okkupation seiner Heimat - erst durch die Sowjets, dann durch die Nazis. Sein Hunger nach Welt war unstillbar: Er ging nach Leningrad, lernte Sprachen, befasste sich mit der modernen Poesie und geriet als Übersetzer und Dichter früh ins Visier des KGB. 1976 gehörte er zu den Mitbegründern der litauischen Helsinki-Gruppe für Menschenrechte. Während eines Aufenthaltes in den USA wurde ihm 1977 die sowjetische Staatsbürgerschaft entzogen. Er lehrte bis 2012 an der Yale University und lebt seit 1990 auf zwei Kontinenten - ein Emigrant, der am unabhängigen Litauen zu viel auszusetzen hatte, um in sein Heimatland zurückzukehren, und sein Exil als Glücksfall empfand. In Gesprächen mit seiner Dichterkollegin und Übersetzerin Ellen Hinsey rekapituliert er sein Leben und lässt das 20. Jahrhundert wiederauferstehen: Ob es um Freundschaften geht oder um Fragen der Poesie, ob er über die Politik der Großmächte oder über die verwickelte Geschichte Mittelosteuropas spricht - Venclovas Klugheit und Selbstironie geben dieser großen europäischen Erzählung von Entwurzelung und Heimatlosigkeit etwas heiter Gelassenes. Venclova ist ein nördlicher Dichter, geboren und aufgewachsen an der Ostsee, diese Landschaft ist monochrom, Grauschattierungen herrschen vor - das Licht des Himmels, zu Dunkelheit verdichtet. Beim Lesen finden wir uns in dieser Landschaft wieder. Joseph Brodsky
Autorenportrait:
Claudia Sinnig, geboren 1965, aufgewachsen in Gotha. Bis 1988 Studium der russischen und englischen Sprache und Sonderstudium der litauischen Literatur in Leipzig. Ab Herbst 1989 Doktorandin an der Universität Vilnius, Mitbegründerin der Lithuanian Review , der ersten unzensierten englischen Zeitung in Litauen. Ab 1990 im Pressebüro von Parlamentspräsident Landsbergis tätig. 1992 Promotion, seither freie Autorin und Übersetzerin. Veröffentlichungen zur litauischen und russischen Literatur und Gegenwartskunst, Mitarbeit beim Kulturradio des russischen Diensts der BBC. Claudia Sinnig lebt in Berlin.
Rezension:
Der magnetische Norden ist ein spannendes Buch, das den Leser durch seinen fließenden Erzählton mitnimmt, das unser historisches Wissen vertieft und anschaulich macht, wie man würdevoll auch in totalitären Zeiten leben kann. Carsten Hueck, Deutschlandradio Kultur 07.03.2017