Anthropologie als Kritik der modernen Welt, als der Versuch, alternative Welten und Lebensformen sichtbar zu machen - das war der Kern von Claude Lévi-Strauss wissenschaftlichem Wirken. Nirgends findet man dies farbiger und konziser dargestellt als in diesem posthum veröffentlichten Band.
Er versammelt drei bisher unveröffentlichte Vorträge, die Lévi-Strauss 1986 in Japan gehalten hat. Sie gehen der Frage nach, welche Rolle die Anthropologie in der modernen Welt spielen kann, und setzen bei der Feststellung an, daß das westliche Gesellschafts- und Fortschrittsmodell durch die ökologischen Folgen der kapitalistischen Industrialisierung, die Umweltzerstörung und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen in eine Sackgasse geraten ist. Hier kommt nun die Anthropologie ins Spiel, da sie alternative Gesellschaftsmodelle und einen anderen Umgang mit der Natur untersucht und zur Kenntnis bringen kann.
Diese anthropologische Aufklärung führt Lévi-Strauss an einer Reihe von hochaktuellen Beispielen, die sich etwa mit dem Sexual- und Familienleben und der Reproduktionsmedizin oder alternativen Formen des ökonomischen Austauschs befassen, auf faszinierende und gelehrte Weise vor. Indem die Anthropologie uns die Augen für Differenzen öffnet und uns mit anderen Lebensformen bekanntmacht, trägt sie zur Bildung eines demokratischen Humanismus bei. Das war Lévi-Strauss große Hoffnung und das tiefere Motiv seiner Forschungen.
Claude Lévi-Strauss, geboren 1908 in Brüssel, gilt als Begründer und führender Vertreter des französischen Strukturismus. Ab 1950 Lehrstuhlinhaber für Vergleichende Religionswissenschaften der schriftlosen Bölker an der École Pratique des Hautes Études und ab 1959 bis zu seiner Emeritierung für Anthropologie am Collège de France. 2009 verstarb Claude Lévi-Strauss.Eva Moldenhauer, 1934 in Frankfurt/Main geboren, ist seit 1964 als Übersetzerin tätig. Sie übersetzte u.a. Claude Simon, Jorge Semprun, Agota Kristof, Jean Paul Sartre und Lévi-Strauss. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. 1982 mit dem Helmut-M.-Braem-Preis und 1991 mit dem Celan-Preis . 2005 wurde sie für ihre Neu-Übersetzung von Claude Simons Das Gras für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
»Die nun erschienenen Vorträge aber bieten jedenfalls, gemeinsam mit den vor kurzem erschienen Texten von Lévi-Strauss über Japan, eine wunderbare Aussicht auf Grundmotive eines großen Autors.« Frankfurter Allgemeine Zeitung