0 0 0

1, 2, 3 Dann reite ich durch den ganzen Himmel

Erzählungen und Gedichte

Im Zirkus will man einen guten Platz, um besser sehen zu können. Bei Büchern ist das anders, beim Lesen gibt es keinen besseren oder schlechteren Platz: »Jeder, der ein Buch liest, sitzt ganz vorne. Er kann alle Ereignisse aus der Nähe beobachten. Er sieht jede Bewegung. Er hört jedes Wort. Er hört sogar das leiseste Flüstern«, heißt es im Vorspann. Genau das ist der Fall bei dieser wunderbaren Ausgabe mit fünf erzählenden Gedichten der 1997 verstorbenen großen österreichischen Kinderbuchautorin.

Verlag Bibliothek der Provinz
ISBN 9783852527871
2010
  • 21 x 15 cm,
  • 32 Seiten, vierfarbig

1. 1., Aufl. . Erscheinungsdatum: 19.07.2010 . 32 Seiten. 21 x 15 cm . Buch .

Buch

lieferbar innerhalb von 10 Werktagen
Über den Artikel

Lieber Onkel Emmerich,
borg mir einen Ziegenbock,
borg mir deinen Sonntagsrock,
borg mir deinen Zauberstock.

Mit dem Bock und dem Rock und dem Stock
möcht' ich heute Abend gern
wandern zum Abendstern.

Lieber Onkel Emmerich,
borg mir deinen Schimmel.
Eins, zwei, drei, dann reite ich
durch den ganzen Himmel.

Ich könnt dir dafür bis morgen
meinen Hampelmann,
ein Schweinchen aus Marzipan
und das hölzerne Schaukelpferd borgen.

Im Zirkus will man einen guten Platz, um besser sehen zu können. Bei Büchern ist das anders, beim Lesen gibt es keinen besseren oder schlechteren Platz: »Jeder, der ein Buch liest, sitzt ganz vorne. Er kann alle Ereignisse aus der Nähe beobachten. Er sieht jede Bewegung. Er hört jedes Wort. Er hört sogar das leiseste Flüstern«, heißt es im Vorspann. Genau das ist der Fall bei dieser wunderbaren Ausgabe mit fünf erzählenden Gedichten der 1997 verstorbenen großen österreichischen Kinderbuchautorin. Hier gibt es keine lauten Töne, es wird leise gesprochen, es gibt keine großen Gesten, sondern zarte, behutsame Bewegungen. Doch weil man als Leser eben ganz nah dran ist, lösen diese zurückgenommenen Töne starke Gedanken und Gefühle aus: In überzeugend schlichter, tiefgründiger und sehr poetischer Lyrik beschäftigt sich Vera Ferra-Mikura mit der Frage nach den Anfängen den Seins, mit der unendlichen Vielfalt von Individualität, sie erzählt von Bären im Straßenverkehr oder von Elfen und Elfenbein, und sie bietet dem Onkel Emmerich Spielsachen im Tausch gegen Ziegenbock und Zauberstock an. Denn damit will die Ich-Erzählerin dieses Gedichts bis zum Abendstern wandern, und mit des Onkels Schimmel will sie durch den ganzen Himmel reiten ...

Nicht nur die Texte beeindrucken in ihrer reduzierten Prägnanz; es sind vor allem auch die Illustrationen, die einen dazu bewegen, den schmalen Band immer wieder zur Hand zu nehmen. In selten so stattfindender und selten so gelungener Zusammenarbeit haben zwei der renommiertesten Bildkünstlerinnen Österreichs Ferra-Mikuras Lyrik zum Ausgangspunkt ihrer freien Assoziationen genommen. Renate Habinger und Linda Wolfsgruber scheinen hier Seelenverwandte zu sein, machen eine sichere Zuordnung der Bilder zu einer von beiden schwer - und auch irrelevant. Die Illustrationen bewegen sich unter Verwendung unterschiedlichster Techniken auf hohem handwerklichem und ästhetischem Niveau, da wird gedruckt und gerissen und gezeichnet, ausgeschnitten und geklebt. Wie die Gedichte sind sie ruhig und doppelbödig, Grau in allen Schattierungen wird mit pointiert gesetzten Orange- und Rottönen kontrastiert. Auch die Bilder richten ihren Blick auf die Details, da bekommen Knöpfe und Kannen Beine, und auf den Fingern der von eins bis fünf zählenden Hand, die die Texte einbegleitet, tanzen die erstaunlichsten Dinge. Ein illustriertes Kinderbuch vom Feinsten für alle, die gerne genauer hinschauen und zuhören wollen. (Karin Haller, 5. März 2009, booklet zur Nr. 10 von DIE FURCHE)

Vera Ferra-Mikura, geboren 1923 in Wien. War nach Schulabschluß in mehreren Berufen tätig. Ihre Neigung zum Schreiben stammt aus der literarischen Atmosphäre ihres Elternhauses, wo Bücher trotz finanzieller Schwierigkeiten ein wichtiger Teil des Lebens waren. Ihre Mutter gab, als Vera 18 war, ohne ihr Wissen eine Mappe mit Gedichten an einen Fachmann vom Verband der demokratischen Schriftsteller zur Begutachtung, welcher sie wieder an einen Experten weiterreichte, das bedeutete eine Art Startschuß als Schriftstellerin. Als Lyrikerin wurd sie in der von Otto Basil herausgegebenen Zeitschrift "Plan" entdeckt.

Ab 1948 war sie als freie Schriftstellerin tätig. Sie hat zwar nie geplant ausschließlich für Kinder zu schreiben, sah aber später darin eine wichtige Aufgabe. Aber auch auf dem Gebiet der Erwachsenenliteratur zählt sie zu den originellsten AutorInnen ihrer Generation in Österreich. Zu ihren Werken zählen auch Gedichte für Erwachsene, Prosa, Haikus und Hörspiele. Vera Ferra-Mikura starb am 9. März 1997 in Wien.

Nahezu alle Kinderbücher Vera Ferra-Mikuras sind gekennzeichnet durch einen magischen Realismus. Sozialkritik wird nicht ausgespart. Dennoch vermitteln die Handlung und die agierenden Personen Trost und Hoffnung. Vera Ferra-Mikura selbst sagt zu ihren Büchern: "Mit dem Schreiben von Kinderbüchern verbinde ich kein gezieltes Anliegen außer dem einen, das mich auch beim Schreiben von Gedichten und Erzählungen für Erwachsene bewegt. Ich versuche, die jeweilige Idee so zu gestalten, daß sich die fertige Form zuletzt mit der Form deckt, die mir vorgeschwebt ist. Darin liegt eine freudige Spannung für mich, ein wechselvolles Abenteuer, die Lust am Experiment".

"Schreiben ist ein Erlebnis, genauso wie bergsteigen, träumen, Bilder malen, Höhlen erforschen, Seifenblase machen, Versteck spielen, Steine sammeln, tanzen, Glasperlen auffädeln oder in den Himmel schauen." Vera Ferra-Mikura

1951 Literatur- und Förderpreis der Stadt Wien, 1963 Kinderbuchpreis der Stadt Wien für Unsere drei Stanisläuse, 1988 Goldene Ehrenmedaille der Stadt Wien und noch viele mehr.

über die Autoren

Renate Habinger

Christine Knödler, Jahrgang 1967, schreibt und ediert als freie Journalistin, Kritikerin und Herausgeberin für verschiedene Verlage, Zeitschriften und Zeitungen, u.a. für Süddeutsche Zeitung, Literarische Welt, die NZZ und DIE ZEIT. Seit 2009 ist sie Lehrbeauftragte der Buchwissenschaft an der Ludwig-Maximilans-Universität, München. Sie...

>> weiterlesen


Wolfsgruber, Linda

Linda Wolfsgruber 1961 in Bruneck, Südtirol, geboren. Besuch der Kunstschule in St. Ulrich. Im Anschluss daran ließ sie sich in München zur Schriftsetzerin ausbilden. Anfang der 80er-Jahre absolvierte sie die Scuola del Libro in Urbino. Seither arbeitet sie als freischaffende Künstlerin in Urbino und Wien. Linda Wolfsgruber erhielt...

>> weiterlesen