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Tübinger Poetik Vorlesungen Hörbuch mit 3 Audio-CDs

In jeder Sprache sitzen andere Augen/Der König verneigt sich und tötet/Wenn wir schweigen, werden wir unangenehm, wenn wir reden, werden wir lächerlich/Einmal anfassen – zweimal loslassen. Limitierte Auflage

Die Tübinger Vorlesungen beschäftigen sich lebendig, heiter und intersiv mit Kindheit und Gegenwart, Erinnerung und Sprache als Unterdrückungs- und Widerstandsmittel.

Verlag Konkursbuch
ISBN 9783887691882
2009
  • Hörbuch, 3 Audio CDs mit 4 Vorlesungen
  • Limitierte Edition von 300 Exemplaren!

Erscheinungsdatum: 18.11.2009 . 30 Seiten. CD-Audio .

Audio-CD

lieferbar innerhalb von 10 Werktagen
Über den Artikel

Die Tübinger Vorlesungen beschäftigen sich lebendig, heiter und intensiv mit Kindheit und Gegenwart, Erinnerung und Sprache als Unterdrückungs- und Widerstandsmittel.

1. Vorlesung „In jeder Sprache sitzen andere Augen":

„In der Dorfsprache, so schien es mir als Kind, lagen bei allen Leuten um mich herum die Worte direkt auf den Dingen, die sie bezeichneten. Die Dinge hießen genauso wie sie waren und waren genauso wie sie hießen. Ein für immer geschlossenes Einverständnis. Es gab für die meisten Leute keine Lücken, durch die man zwischen Wort und Gegenstand hindurchschauen und ins Nichts starren musste, als rutschte man aus seiner Haut ins Leere …"

2. Vorlesung „Der König verneigt sich und tötet":

„Oft werde ich gefragt, warum in meinen Texten so oft der König und so selten der Diktator vorkommt. Das Wort König ist weich. Und oft werde ich gefragt, warum in meinen Texten so oft der Friseur vorkommt. Der Friseur misst die Haare und die Haare messen das Leben …"

3. Vorlesung „Wenn wir schweigen, werden wir unangenehm, wenn wir reden, werden wir lächerlich":

„Das Schweigen ist keine Pause zwischen dem Reden, sondern eine Sache für sich. Ich kenne von zuhaus bei den Bauern eine Lebensweise, die sich den Gebrauch von Wörtern nicht zur Gewohnheit machte. Wenn man nie über sich selber spricht, redet man nicht viel. Wie alle im Haus hatte auch ich gelernt, am anderen das Zucken der Gesichtsfalten, Halsadern, Nasenflügel oder Mundwinkel, des Kinns oder der Finger zu deuten und nicht auf Wörter zu warten. Zwischen Schweigenden hatten unser aller Augen gelernt, welches Gefühl der andere mit sich durchs Haus trägt. Wir horchten mehr mit den Augen als mit den Ohren …"

Aus der Vorlesungsreihe „Zukunft! Zukunft?" (Hg. Jürgen Wertheimer) Einmal anfassen - zweimal loslassen

Die großen Schubladen von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft trennen das Ineinander von Zeit, die dem einzelnen ins Leben läuft. Doch die gelebte Zeit streunt nicht in großen Blöcken … Kurz nach meiner Zukunft, also sehr bald nach meiner in Deutschland angekommenen Zeit fuhr ich nach Marburg und traf im Zug INGE WENZEL AUF DEM WEG NACH RIMINI … Anfang dreißig, blondes lockeres Haar, schmales Gesicht, schlanker Hals mit Goldkettchen, das in die Schlafrichtung, neben den linken Träger von Inge Wenzels weißem Nachthemd hing, ein Nachthemd mit zweifingerbreiten Trägern, wie es meine Großmutter im Winter genäht hatte. Es war mein Nachthemd auf dem Weg vom Dorfzuhause in die Welt. Der Stoff war knapp, das Nachthemd verlangte nach breiten Trägern, weil es unten unschicklich kurz geworden wäre, wenn man es oben zusammengenäht hätte. Die Breite der Träger machte den oberen Rand zu einem viereckigen Halsausschnitt, aber arg dekolletiert, meinte sie, als sie die Träger festnähte. Ich werde nie wissen, ob sie diese Freizügigkeit ausdehnen oder einschränken wollte, als sie das ovale Lochmuster zu sticken begann. Es muss einen Sog gegeben haben, am gestickten Halsrand geriet ihr das Nachthemd mit jeder Lochreihe mehr zum verschneiten Feld in der Hand. Acker mit Winterruhe, wo kein Fuß geht, wo sich Tauen und Frieren zerbrechlich schön ausgleichen …

Herta Müller wurde 1953 in Nitzkydorf/Rumänien geboren, studierte Germanistik und Rumanistik an der Universität von Temeschwar. Sie arbeitete als Übersetzerin und Deutschlehrerin, wurde jedoch aufgrund ihrer Verweigerung der Zusammenarbeit mit der Securitate aus dem Schuldienst entlassen. Seit 1984 ist sie freie Schriftstellerin, in Rumänien Publikationsverbot. 1987 Ausreise in die BRD. Viele Literaturpreise, u.a.: Kleist-Preis (1994), Berliner Literaturpreis (2005), Würth-Preis für europäische Literatur (2006), Nobelpreis für Literatur (2009).